Man sollte sich immer daran erinnern, daß "Meßergebnisse" zur subjektiven Akustik häufig nur Schlußfolgerungen aus Antworten in nicht mehr nachprüfbaren Versuchsanordnungen sind. Ein Unsicherheitsfaktor besteht darin, daß Versuchspersonen nicht gelernt haben, bewußt zu hören, und unter dem Druck zur Beantwortung der gestellten Frage nur eine Ihnen möglich erscheinende Antwort geben. Der zweite Unsicherheitsfaktor besteht in der zu kleinen Anzahl von Versuchspersonen bei manchen Versuchen. Der dritte in der unbewußten oder auch bewußten Manipulation beim Interpretieren der Versuchsergebnisse durch den Versuchsleiter. Dazu kommt noch die Qualität der benutzten technischen Geräte, wodurch lange zurückliegende Versuche aus heutiger Sicht häufig wertlos geworden sind.
Im Zusammenhang dieses Textes interessieren von der
subjektiven Akustik die Fähigkeiten, einem Schallereignis
eine Richtung und eine Entfernung zuzuordnen, sowie die
Verdeckung der Wahrnehmung von Schallereignissen durch kurze Zeit
vorher wahrgenommene andere Schallereignisse. Grundlage der
subjektiven Akustik sind unsere Ohren vom Gehörgang nach
innen über das Trommelfell, Mittelohr und Innenohr mit der
Nervenleitung zum Gehirn, in dem die eigentliche Wahrnehmung
stattfindet. Es scheint selbstverständlich, daß der
Mensch zwei gleiche Ohren hat, mit denen er
Schalldruckschwingungen zwischen 16 Hz und 16 kHz hören
kann. Fragen Sie Ihren Ohrenarzt, bei wievielen Menschen
erhebliche Abweichungen davon festzustellen sind. Es sind
viele.
In die Funktionskette unseres Ohres ist ein Kompressor eingebaut.
Dabei folgt die Steigerung des Lautheitseindrucks nur
logarithmisch der Steigerung der Schallenergie. Jedes Ohr wird
für sich geregelt und es werden Frequenzbänder, also
nicht alle Frequenzen gleichzeitig geregelt. Das Ohr wird nach
einem lauten Schallereignis erst langsam wieder empfindlicher.
Hier wird eine Zeitkonstante von etwa 35 ms angenommen. Auf
diesem Regelmechanismus beruhen die Verdeckung benachbarter
Frequenzbereiche und die Verdeckung nachfolgender leiserer
Schallereignisse.
Zwei funktionierende Ohren sind für die Wahrnehmung der
räumlichen Koordinaten des Schalls Bedingung. Die Wirkung
des Kopfes beim Hören läßt sich objektiv
feststellen, indem kleine Meßmikrofone in die
Gehörgänge gesteckt werden, wobei das Ohr durch ein
Meßinstrument ersetzt wird. Eine Kopfnachbildung kann auch
noch den menschlichen Kopf ersetzen, so daß sich recht gut
der Einfluß eines Kopfes beim Hören in einem
Schallfeld messen läßt.
Wenn jetzt eine Schallquelle in der Mitte vor dem Kopf angeordnet
ist, erhalten beide Mikrofone (anstelle der Ohren) gleiche
Signale. Wird die Schallquelle unter einem Winkel von 30 Grad
links vor dem Kopf in größerer Entfernung
positioniert, kommt das Signal am rechten Ohr etwas später
an als am linken Ohr, ist durch die Kopfabschattung etwas leiser
und klingt etwas anders. Die Meßwerte für die
Zeitdifferenz und die Pegeldifferenz sind für jeden anders
geformten Kopf etwas anders, folgen jedoch einem gemeinsamen
Muster. Daher ist es sinnvoll, ein "allgemeines Richtungsmuster"
zu definieren und die jeweiligen Abweichungen davon als
Korrektursummand zu beschreiben. Als allgemeines Richtungsmuster
für 30 Grad werden hier eine Zeitdifferenz von 400
Mikrosekunden und eine Pegeldifferenz von 4 dB definiert.
Für den Winkelbereich zwischen 0 und 45 Grad wird eine
lineare Abhängigkeit des allgemeinen Richtungsmusters vom
Winkel definiert.
Während das allgemeine Richtungsmuster
frequenzunabhängig definiert ist, ist in der Korrektur eine
Frequenzabhängigkeit enthalten. Diese Korrektur ist
individuell unterschiedlich.
Die Wahrnehmung der Entfernung ergibt sich ebenfalls aus
veränderten Werten in der Korrektur des allgemeinen
Richtungsmusters, wobei nur im Nahbereich signifikante
Änderungen auftreten.
Auch bei einer Anordnung der Schallquelle auf der Rückseite
des Kopfes oder unter einem beliebigen vertikalen Winkel folgen
die Meßwerte dem allgemeinen Richtungsmuster mit einer
veränderten Korrektur.
Für Betrachtungen zur Funktionsweise des Richtungshörens ist das allgemeine Richtungsmuster gut geeignet. Das Funktionsmodell mit dem allgemeinen Richtungsmuster läßt sich auch einfach technisch realisieren. Dagegen entziehen sich die individuellen Korrekturen, die Korrektur für die Unterscheidung zwischen vor und hinter dem Kopf und auch die Korrektur für die Entfernungswahrnehmung bisher jedenfalls einer genauen Beschreibung. Sie lassen sich daher auch nicht technisch nachbilden.
Werden die Signale von den beiden in den Gehörgang
gesteckten Mikrofonen aus dem obigen Versuch über ein Paar
Kopfhörer wiedergegeben, dann ist theoretisch die Kette vom
Schallereignis zum Gehirn ohne Lücke, und die Empfindung
müßte dem natürlichen Richtungshören
entsprechen. Voraussetzung sind natürlich zwei sehr gute
Mikrofone und ein Paar gute Kopfhörer, wie z.B.
elektrostatische von Stax. Bei derartigen Versuchsanordnungen
werden die Schallquellen jedoch in Wirklichkeit hinter dem Kopf
etwas oberhalb der horizontalen Ebene abgebildet, ganz gleich, ob
die wirkliche Schallquelle vorn, hinten oder über dem Kopf
war. Eine Ausnahme können bewegte Schallquellen bilden, bei
denen die sich ändernde Klangfärbung ausgewertet wird.
In den meisten Fällen ist jedoch die Unterscheidung zwischen
vorn und hinten verloren gegangen. Der seitliche Winkel
läßt sich dagegen recht genau bestimmen. Auch die
räumliche Tiefe beeindruckt bei Kunstkopfaufnahmen, die
über Kopfhörer gehört werden. Der
Entfernungseindruck ist also vorhanden.
Ähnliche Ergebnisse wie bei Kunstkopfaufnahmen bringt die
Kopfhörerwiedergabe von Aufnahmen mit dem Hauptmikrofon
für AURA. Bei Aufnahmen mit
Zeitdifferenzstereofonie ist die Räumlichkeit vorhanden, der
Richtungseindruck aber unklar. Bei Aufnahmen mit
Intensitätsstereofonie werden die Schallquellen im Kopf
zwischen den beiden Ohren abgebildet.
Zwei voneinander unabhängige Schallquellen werden einzeln
wahrgenommen, sofern nicht eine Verdeckung die Wahrnehmung
verhindert.
Sind die beiden Schallquellen miteinander korreliert, indem sie
gleichartige Signale abgeben, die sich nur im
Lautstärkepegel und einer am Kopf auftretenden Zeitdifferenz
von weniger als 1 ms unterscheiden, werden sie als eine
Phantomschallquelle wahrgenommen, die sich aus der individuellen
Hörerfahrung ableitet.
Dieser Fall hat beim natürlichen Hören keine Bedeutung,
wird aber bei der zweikanaligen Stereofonie benutzt, um einen
Richtungseindruck mit zwei Lautsprechern zu erzeugen. Dieser
Eindruck wird desto genauer, je mehr die Signale dem
natürlichen Hören gleichen. Es lassen sich sehr
komplexe Hörbilder in Richtung und Entfernung abbilden,
sofern die Aufnahme mit einem Aufnahmeverfahren durchgeführt
wurde, das die Richtungsmuster wiedergibt. Allerdings ist der
Originalraum durch Aufnahmeverfahren und Lautsprecheraufstellung
in einen künstlichen Raum transformiert worden, der im
günstigsten Fall dem Originalraum ähnelt. Sind die
beiden Lautsprecher unter +/- 45 Grad vor dem Kopf aufgestellt,
ist kein Abbildungsort außerhalb dieses Abbildungswinkels
möglich, natürlich auch nicht auf der Rückseite
des Kopfes.
Die räumliche Abbildung wird durch nichtlineare Verzerrungen
gestört. Eigenschwingungen des Lautsprechers oder im
übertragungskanal erzeugte Obertöne werden am Ort des
Lautsprechers wahrgenommen und mit dem Klangbild in Verbindung
gebracht, da sie ihm harmonisch verwandt sind. Daher
läßt sich mit schlechten Lautsprechern kein gutes
räumliches Klangbild erzeugen.
Mit Intensitätsstereofonie läßt sich eine genaue
Richtungsabbildung erzeugen. Die Entfernung der wahrgenommenen
Schallquelle liegt grundsätzlich auf der Verbindungslinie
zwischen den beiden Lautsprechern, es ist also keine
Räumlichkeit wahrnehmbar. Für das Fehlen jeglicher
Räumlichkeit ist es gleich, ob die
Intensitätsstereophonie durch XY- oder MS-Mikrofone oder
durch ein herkömmliches PanPot erzeugt worden ist.
Mehrere voneinander unabhängige Schallquellen werden
einzeln wahrgenommen, sofern nicht eine Verdeckung die
Wahrnehmung verhindert. Miteinander korrelierte Schallquellen
werden als Phantomschallquelle wahrgenommen.
Bei den Surroundtechniken werden nur Aufnahmen der
Intensitätsstereofonie verwendet, da die Monosummenbildung
für den Mittenkanal aus Techniken mit Zeitdifferenz
unzulässig ist, weil sie zu Kammfiltereffekten führt.
Eine genaue Richtungsabbildung ist möglich, eine
Räumlichkeitswahrnehmung ist nicht möglich. Mit diesen
Techniken können Schallquellen vor und hinter dem Kopf
abgebildet werden.
Für AURA kann eine
Lautsprecheranordnung von vier Lautsprechern gewählt werden,
jeweils unter 45 Grad vor und hinter dem Kopf. Das hintere
Lautsprecherpaar erhält die gleichen Signale wie das
vordere. Der Effekt ist interessant, die Räumlichkeit ist
gut. Eine wirkliche Surroundtechnik ist das aber nicht.
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